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Die Verrückte

 

Die Liebe ihres Lebens war von ihr gegangen. Sie hatten einander nicht ausgesucht, sie waren einander „geschehen“. Weder hatten sie es gewollt, noch waren sie in der Lage gewesen, sich dagegen zu wehren. Sie waren einander so nah und so ähnlich – wie hätten sie sich gegen sich selber wehren können?

 

Hatten sie in all den gemeinsamen Jahren einander oder einfach jeder sich selber kennen gelernt? Waren sie einander Gegenüber oder waren sie Spiegel gewesen?

Sie hatten sich das nie gefragt. Es schien ihnen kein Unterschied gewesen zu sein zwischen sich selbst und einander.

Wie oft hatte sie ihre Hand angesehen, nur um sicher zu sein, dass er die seine gehoben hatte und nicht sie die ihre. Sie hatten die Gesten, Blicke, Bewegungen des anderen gespürt wie der eigenen.Sein Kinn war das ihre gewesen und ihr Mund der seine. Sie hatte seine Beine bewegt und er ihre Arme.

 

Nun war er gegangen – das erste Mal, seit sie einander kannten, hatte er etwas ohne sie getan. Und da sie fühlte, was er fühlte, war sie ebenfalls gestorben mit ihm, er hatte in ihren Armen gelegen als sie starben.

Aber ihr Köper hatte überlebt,seiner war den Würmern zum Frass vorgeworfen worden. Er war nicht mehr da.

Noch lange hatte sie neben ihm gelegen, ihn in ihren Armen gehalten und die zunehmene Kälte gefühlt, die den seelenlosen Leib ergriffen hatte. Dennoch fühlte sie noch lange seine Liebe in der ihren, hörte seine Stimme Dinge erzählen, die sie nicht mehr wahrnahm. "Werde glücklich, Geliebter", hatte sie geflüstert, als sie sich von der starren Masse in ihren Armen löste. Das, was da lag, sah aus wie er – aber es fühlte sich nicht mehr an wie er. Es fühlte sich gar nicht mehr an.

 

Sie weinte nicht. Ein Teil ihrer selbst, sie selbst, war von ihr gegangen. Ihr blieb nur innere Reglosigkeit. Sie fühlte sich nicht einsam. Sie empfand nur Stille. Sie ging durch die Tage ohne etwas zu sehen oder zu hören. Er war ihr passiert, so, wie sie ihm geschehen war. Jetzt war ihnen Beiden sein Tod widerfahren. Ein Herz schlug in ihrer Brust, aber sie erkannte es nicht als das ihre.

"Wo Du bist, da will ich auch sein", hatten sie einander immer und immer wieder versichert.

So kehrte sie in sich, kehrte sie heim.

Und, wie zuvor, fühlte sie, was er fühlte. Er empfand zum ersten mal über sie Beide hinaus. Etwas Schlafendes war in ihm erwacht. In ihr wurde es hell.

 

 

Zuerst hatten sie die wirr erscheinende Frau in die Psychiatrie getan. Sie war auf heitere Weise verrückt, tat niemandem etwas, war zu allen freundlich und immer hilfsbereit. Mit den Ärzten redete sie scheinbar offen, diese hatten aber immer wieder das unbestimmte Gefühl, sie würden ausgetrickst. Nie lernten sie hinter die Fassade (war es eine?) der Patientin zu schauen, wohl aber mehr und mehr hinter ihre eigene. Sie redete mit den anderen Verrückten auf eine Weise, die niemand verstand – aber die Patienten wurden in ihrer Gegenwart ruhig, enspannten sich, die Augen wurden klarer, die Stimmen stanft.

 

Sie entliessen sie wieder, weil sie keine Gefahr darstellte. Sie fand keine Arbeit, verlor ihre Wohung , hört auf zu reden und landete auf der Strasse. Für das Geld, dass sie bekam, kaufte sie sich einmal am Tag eine warme Mahlzeit, für das, was blieb, Papier und Bleistifte. Sie schrieb Gedichte, bei sengender Hitze und Eiseskälte, bei Regen, Wind und Schnee schrieb sie. Wer immer ihr eine Kleinigkeit gab, erhielt eines von ihr. Es waren wenig verständliche Worte, aber auf seltsame Weise tröstend, stärkend, sie zauberten ein Lächeln auf die Gesichter derer, die lasen. Niemals sprach sie auch nur ein einziges Wort. Und da sie auch nicht zu hören schien, dachten die Meisen, sei sei taub und stumm und gaben ihr aus Mitleid. Sahen sie ihr dann aber in ihre klaren, leuchtenden und mit Liebe überströmenden Augen, schämten sie sich. Manchmal suchten Menschen sie auf, die Rat und Trost suchten, gaben ihr eine Kleinigkeit und nahmen dafür ein Gedicht mit. Niemand kannte ihren Namen. Ab und zu setzte sich jemand neben diese stille Frau und genoss den Freiden, der sich wie ein wärmender Mantel um sie gelegt hatte.

Eines Tages ging sie zu ihm, der ihre Hand ihr Leben lang gehlaten und sie begleitet hatte. Niemand merkte es. Nur die, die sie aufsuchtne wollten, fanden sie nirgends mehr.

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