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​Die Kleine Nonne

in memoriam Therese von Lisieux

 

Mit vor Aufregung geröteten Wangen sah die Kleine Nonne sich um. Wieviel Leben hier war – und wie laut es war in der Welt.

 

In dem Bergkloster, ihrerm zu Hause, war es fast vollkommen still. Man hörte nur die Vögel, ab und zu ein Reh – und die Nonne, die zum gemeinsamen Essen aus dem Brevier las.

Sie war noch sehr jung gewesen, als sie in das Kloster eintrat. Seit sie zurückdenken konnte, war sie mit dem Herrn Jesus verheiratet, beinahe seit ihrem ersten Gedanken. Und, sobald es ihr möglich gewesen war, war sie zu Ihm gekommen. Das Kloster es Schweigens hatte sie gekannt, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Jeden Sonn- und Feiertag war die ganze Famiilie hier zum Gottesdienst gegangen. Nirgendwo konnte sie Ihm näher sein.

Nun wollte eine andere Nonne aus einem der Schwesterklöster in Italien die Mutter Oberin besuchen. Sie war gebeten worden, Schwester Mathilde vom Bahnhof abzuholen.

Der Zug würde, so die Durchsage, Verspätung haben. Es hatte irgendwo auf der Strecke einen Unfall gegeben. Still das Vater Unser für die Verletzten und deren Angehörigen betend, hatte die Kleine Nonne sich auf eine Bank gesetzt. Das Vater Unser gab ihr immer einen grossen Frieden. Sogar diesmal, in dieser lauten, umtriebigen Umgebung. Als sie fertig war mit dem Gebet, sah sie sich mit ihren tiefbraunen Augen aufmerksam um. Ihr Gesicht war schlicht und strahlte grosse Wärme aus.

So viele Jahre war sie nicht mehr „in der Welt“ gewesen. Sie beobachtete eine Familie, offenbar würde die Mutter, eine dickliche, kurzatmige Frau, verreisen. Der Mann hielt ihre Hand, ein kleines Mädchen hüpfte auf den Steinen des Bodens herum in einem bestimmten Rythmus. Es war ein Spiel.

 

Ein junger Mann lungerte am Geländer herum. Er rauchte, seine Lederkleidung war schmutzig. Er strahle Zurückweisung aus, die Mundwinkel waren abfällig heruntergezogen.

Ein junges Mädchen sass auf ihrem Rucksack und war vollkommen in ein Buch vertieft. Neben ihr lag friedlich und ruhig ein Hund, ihr Hund wohl, und schlief.

Jesus kam. Das fühlte die Kleine Nonne immer schon im Voraus. Er kündigte sich ihr mit einer grossen inneren Wonne an. Ihr Körper erstarrte, die Augen schlossen sich. Nun hörte sie nichts mehr von all dem, was um sie herum geschah.

 

Jesus kam.

„Sei in meinem Herzen, nur für diesen einen Tag“, flüsterte die Kleine Nonne – mehr, als einzig für diesen einen, den jetzigen, Tag zu leben, mit Ihm zu leben, wagte sie nicht. Sie war ein Kind des Augenblicks. Was kümmerte sie ein Morgen, wenn es galt, das Heute voll und ganz zu leben, auszukosten, dem Herrn Jesus HEUTE ihre ganze Aufmerksamkeit und Liebe zu schenken. Das Morgen würde erst am nächsten Tag beginnen – und bis dahin blieben noch viele, viele Stunden des Heute zu bewältigen. „Berge mich in Deinem Blick“, bat sie noch, und dann war Er da.

 

Er war die dicke Frau, die kurzatmig ihre Famnilie versorgte. Es wurde der Kleinne Nonne mit einem Mal klar, dass diese Frau an Asthma litt und ausserdem wohl Probleme mit dem Herzen hatte. Sie sah dieses Herz, die Wunde darin. Die Rose, die die Kleine Nonne in ihrem Inneren immer für Jesus aufbewahrte, schenkte sie IHM nun – sie legte die Rose genau auf die Wunde in Seinem Herzen. Die dicke Frau begann ruhiger zu atmen, das Herzstechen hörte auf, und sie sah sich um. „Denk daran, Marie von der Schule abzuholen“, sagte sie zu ihrem Mann und fühlte eine neue innere Freiheit in sich. Der Mann sah sie verblüfft an. So bestimmt hatte er sie schon lange nicht mehr reden hören.

 

Er war der junge, etwas verlottert aussehende Mann. Nieman kümmerte sich um Ihn,. Er war einsam, niemand hatte Ihn, ihren geliebten Herrn und Bräutigam, jemals geliebt. Ihr kamen Tränen vor Mitleid – wie konnte man Ihn nicht lieben!

Erstaunt blickte der junge Mann sich um. Es war das so übliche, oberflächliche Geschwätz, hier am Gleis. Sein Blick fiel auf die Nonne, die regungslos auf der Bank sass. Er konnte mit Kirche und dem ganzen Kram nichts anfangen. Seine Augen wanderten weiter und dann blickte er wieder in sich hinein. Aus irgendwelchen Gründen fühlte er sich glücklicher, wärmer - lange nicht mehr so liebeleer wie normalerweise.

Er begann eine Melodie aus Kindertagen vor sich hin zusummen.

 

Er war das Mädchen, das in sein Buch vertieft war. Ein glückliches Lächeln huschte über das Gesicht der Kleinen Nonne. Hier, in diesem Herzen, fand ihr lieber Jesus Frieden. Sie sandte einen Sonnenstrahl zu der jungen Gestalt.

Sie las Dante – und war gefangen in den Welten, die sich hier ihr eröffneten. Ob das wohl alles stimmte? Sie war teilweise vollkommen verwirrt gewesen, von all den neuen Gedanken, den ungewohnten Anregungen, die dieses Buch ihr gab. Jetzt zog Friede in ihr Herz. Sie begann das Buch zu verstehen, die innere Schlüssigkeit erschloss sich ihr. Mit tiefer Ruhe las sie weiter. Mit einem Mal kümmerte es sie nicht mehr, ob dieses Buch Wahrheit enthielt oder nicht.

Wahrheit musste sowieso jeder in sich selber finden – dabei konnten Bücher einem nicht weiterhelfen. Aber sie lieferten einem durchaus Anstösse zum Denken, gaben einem Ideen, neue Ideen. Ob diese einer Wahrheit auch nur nahe standen, würde ihr eigenes Herz entscheiden. Wie oft hatte sie mit ihrer Therapeutin darüber geredet. Jetzt erst verstand sie, was diese gemeint hatte, wenn sie gesagt hatte: „Trau Dir selber. Vertrau Deiner inneren Weisheit.“

Sie konnte einfach aus Freude lesen. Sie musste keine Wahrheiten mehr finden. Die Wahrheit würde sie finden. Mit einem glücklichen Lächeln las sie weiter

 

Er war der Hund, der so zufrieden da lag und schlief. Auch im Schlaf waren die Ohren gespitzt und drehten sich mal in diese, mal in jene Richtung.

Der Hund mochte schlafen – seine Aufmerksamkeit schlief niemals, so wenig wie die Aufmerksamkeit des geliebten Jesus niemals nachliess.

Ein kleiner, sehr glücklicher Laut entschlüpfte dem Hund. Das june Mädchen legte ihre Hand auf seinen Kopf und streichelte ihn. Seine liebevollen Augen waren unverwandt auf die Kleine Nonne gerichtet.

 

Er war in diesem Trubel hier, dieser Umtriebigkeit hier. Die Kleine Nonne fühlte, wie all dies in ein helles Schweigen eingebettet war. Obgleich der Lärm sich nicht legte, „hörte“ die Kleine Nonne die Stille, die über dem allen lag, und die kein Mensch normalerweise wahrnehmen kann.

 

Er war in dem Schimmern, das vor ihren Füssen lustig funkelte. Es war die reine Wonne darin. Die Kleine Nonne öffnete die Augen und suchte, worin sich dieses Schimmern verborgen hatte in der Welt – es war ein Stück Folie aus einer Zigarettenschachtel. Ein kleines Lachen entfuhr ihr – Er hatte schon einen wunderbaren Humor, immer gehabt, und ab und zu neckte er sie.

 

Sie sah sich um. Der junge Mann war fort, ebenso das Mädchen mit ihrem Hund und die dicke Frau. Ein Blick auf die Anzeigetafel verriet der KleinenNonne, dass der Zug, der Schwester Mathilde bringen sollte, schon längst wieder abgefahren war. Betrübt stand die sie auf. War sie schon wieder so fern gewesen mit ihren Gedanken! Mutter Oberin schalt sie immer wieder - aber sie schaffte es einfach nicht, ihre Gedanken NICHT beim lieben Herrn Jesus zu haben.

Immer wieder betrübte sie damit ihre gute Mutter Oberin, die immer wieder so entäuscht von ihrer inneren Abwesenheit hatte. Sie machte das nicht mit Absicht, wie einige der Schwestern ihr unterstellten, wirklich nicht. Es war nicht, weil sie hervortreten, etwas „Besseres“ sein wollte, wie zum Beispiel Schwester Maria behauptete - ach, die Arme! Sie war leider eifersüchtig und das ohne jeden Grund. Während die Kleine Nonne sich erhob, beschloss sie, für Schwester Maria den Spül- und den Toillettendienst zu übernehmen. Die Arme mochte diesen Schmutz nicht und bekam tatsächlcih auch leicht einen Ausschlag.

 

Wo Schwester Mathilde jetzt nur war?

Eilig lief die Kleine Nonne den Bahnsteig entlang – vielleicht konnte sie Schwester Mathilde noch einholen.......

 

Und dann sah sie IHN! - welche Wonne durchzog sie! Ein feines, amüsiertes Lächeln auf Seinen Lippen, sah er ihr entgegen. „Ich habe bewusst Abstand gehalten – ich wollte Sie in Ihrer Andacht nicht stören“, sagte Er mit der warmen Stimme einer Frau.

Es war Schwester Mathilde, eine alte Nonne, die sich schwer auf ihre zwei Stöcke stützte. Ihre Hüften mussten sich furchtbar anfühlen. So ungelenk vor Schmerzen dieser Körper auch sein mochte: die Augen strahlten tiefen Frieden aus. Das Gesicht war überaus zart gezeichnet, man konnte es sich ohne ein feines, inneres Leuchten gar nicht vorstellen.

„Verzeihung“, murmelte die Kleine Nonne beschämt. Sie sah nicht das Erstaunen, dass sich in den Zügen der anderen malte.

„Liebes Kind“, sagte Schwester Mathilde, „ich habe Sie in den Armen unseres lieben Herrn gesehen. Wofür entschuldigen Sie sich?“

 

Flammende Röte ergoss sich über das Gesicht der Kleinen Nonne. Sie wusste nichts dazu zu sagen. „Hatten Sie eine angenehme Reise?“ fragte sie, als sie mit der einen Hand den kleinen Koffer nahm und mit der anderen die Schwester stützte, während sie sich langsam fort bewegten.

„Ja, danke, sehr gut,“ war die Antwort, und dann gingen sie beide zu dem Bus, der sie zum Fusse des Berges bringen würde. Den Aufstieg würden sie dann miteinander bewältigen müssen. Die Kleine Nonne war ein wenig besorgt, wie die Schwester den Aufstieg verkraften würde. „Warum machst Du Dir darüber Gedanken?“ fragte der liebe Herr Jesus sie. „Du weisst doch, dass Du MICH hinauftragen wirst.“

Von Glück umstrahlt, nahm die Kleine Nonne ihre Begleiterin huckepack. Schwester Mathilde genoss ein vollkommen fremdes, freies Gefühl. Es war schon viele, viele Jahre her, dass sie so leicht gehen konnte. Die Hüften und Kniee taten geschmeidig ihren Dienst, und es eine Lust, durch diese schöne Bergwelt zu laufen.

Beinahe hätte sie ihre Stöcke fort geworfen.

 

Ein Seitenblick auf die Kleine Nonne zeigte ihr, dass Schweiss auf der Stirne der andern stand, ihr die Wangen hinunter lief, und sie merkwürdig gebeugt ging. Sie bemerkte Schwester Mathilde gar nicht.

Es stimmte also, was man von dieser seltsamen Nonne erzählte:: es geschahen in ihrer Anwesenheit Wunder. und sie wusste nicht einmal etwas davon.

 

Von ehrfüchtiger Scheu ergriffen, begann nun auch Schwester Mathilde ihr Gebet.

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