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Die Fremde

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Sie lag auf de Erde und sah in den Himmel. Hier unten war es kalt und feucht – wie mochte es wohl da oben sein? Es war dunkel geworden, ein klarer Sternenhimmel wölbte sich über die Erde wie ein bergendes, schützendes Tuch, voller kleiner Sonnen, die sie wärmten.

Sie spürte die Feuchtigkeit in ihre Kleider dringen und umschlang sich mit ihren eigenen Armen.

Woher kam sie? Wie war sie hergekommen? Und warum war sie hier?

Tatsächlich hatte sie keine Erinnerung – eines Tages war sie einfach da gewesen, es war ihr, als hätte sie noch so etwas wie eine Türe ins Schloss fallen gehört. Oder war es ein Tor gewesen?

Für die anderen war sie fremd. Sie sprach eine andere Sprache, lachte, wenn andere ernst waren und wurde ernst, oft sogar traurig, wenn andere sich erheitert fühlten. Woher kam sie? Das wurde sie oft gefragt – und kannte die Antwort nicht.

Wenn andere zornig wurden, verstand sie das nicht. Sie kannte das Gefühl nicht, es fand keinen Widerhall in ihr, ebenso wenig wie Bosheit, Neid, Rachsucht, Konkurrenzdenken.

Man konnte sie schlagen, ihr das Wenige nehmen, dass sie besass, sie auf die Strasse setzen, auslachen – nichts davon fand einen Widerhall in ihr. Ihre Augen blieben zärtlich, sanft, liebevoll, strahlten, als wollten sie sagen: „Schaut doch – wenn wir uns lieben, ist alles viel einfacher. Macht es Euch doch nicht so schwer.“ Das wiederum verstanden die anderen nicht, es klang etwas in ihnen an, wenn sie ihr in die Augen sahen, aber zu leise, als dass sie die Melodie hören konnten, die in ihren Herzen wie lein Glockenspiel läutete.

Was sie „Herz“ nannten, war Gier: nach Liebe, Anerkennung, Bewunderung, ersatzweise Geld, Macht und Besitz - und sie konnten nicht genug davon bekommen.

Was sie, die fremd hier war, „Herz“ nannte, war Lassen: Zärtlichkeit, Sanftheit, Fürsorge, Eingehen auf das Unausgesprochene.

Dass das Unausgesprochene das war, von dem die anderen nicht einmal wussten, erkannte sie nicht, zu unvorstellbar war ihr, dass das, was ihr Heimat, normal und selbstverständlich war, für die anderen eine fremde Welt sein sollte.

Männer kamen und gingen. Sie bekam Kinder, auch diese gingen mal, mal blieben sie. Es nannten sich die verschiedensten Menschen ihre Freunde – und verschwanden wieder aus ihrem Leben.

Alles veränderte sich, immer. Es gab Jahreszeiten, Stimmungen, Schwankungen in den Befindlichkeiten – nur sie blieb immer dieselbe. War sie auch manchmal traurig und fühlte sich allein, so blieb ihr doch immer die gleiche Leichtigkeit.

Sie hatte einen Körper, der trotz aller Erdenschwere nicht an diese gebunden zu sein schien. Sie bewegte sich, wie ein Vogel schwebt. Wenn ihre Füsse die Erde berührten, dann traten sie nicht darauf – sie streichelten sie. Hielt sie sich an etwas fest, war das mehr Liebkosung als das Suchen nach Halt. Stürzte sie, so fiel sie nicht zu Boden – sie wurde von ihm aufgefangen gehalten und getragen. Beobachtete sie jemanden oder etwas, glänzten ihre Augen vor Freude und Liebe.Wenn sie ass, zermalmten ihre Zähne nichts – ihre Zunge und ihr Gaumen genossen jeden einzelnen Geschmackspartikel und die Nahrung wurde schon im Mund zur Wandlung.

Brot wurde Fleisch ihres Körpers. Wasser verschmolz mit ihrem Blut.

Obst, Gemüse – all das wandelte sich in ihr zu einer einzigen grossen Freude, aus der ihr ganzer Körper zu bestehen schien.

Immer war es so, dass der Körper sich dem anglich, was grade stattfand. War sie an einem Wasser, schien er zu zerfliessen; stieg sie Stufen hinauf, war es den anderen, als erhöbe sie sich zum Himmel; legte sie sich schlafen, war manchmal nur noch das Tuch übrig, dass sie tagsüber getragen hatte; so wenig wusste sie noch von sich, dass nichts von ihr zu blieben schien – bis sie wieder erwachte.

Es war nicht so, dass sie in ihrem Körper wohnte. Es war so, dass ihr Leib von ihren Gedanken und Gefühlen so durchflossen war, dass er davon schimmerte und glänzte, wie ein Blatt in der Sonne schimmmern mag. Ihr Körper bewegte sich in ihrem Sein wie ein Fisch sich im Wasser bewegt.

Sie sprach wenig, mal schien sie so in sich gekehrt zu sein, dass niemand sich ihr zu nähernd wagte; zu anderen Zeiten strahlte eine Heiterkeit von ihr aus, die so anziehend war, dass sie sich vor Besuch kaum noch retten konnte.

Die Menschen versuchten ihr zu sagen, wie schlecht es ihnen ging, wie sie litten, was sie alles bedrückte – sie verstand nicht.

Schien nicht für alle die Sonne? Zwitscherten nicht die Vögel sogar noch für taube Ohren? Ergriff und trug das Wasser nicht auch gelähmte Glieder? Mochte der eine Wein trinken, so dass für den anderen nur das Wasser blieb – genügte nicht auch Wasser: glitzerndes, perlendes, die Sonne und den Mond widerspiegelndes Wasser?

Wessen Augen erblindeten – wurden ihm nicht sogar die Ohren noch zu Augen?

Wessen Ohren tauber wurden – war Schweigen nicht besser als reden; und war es nicht wundervoll, lästiges Geschwätz von sich abprallen lassen zu können?

So schwieg sie also, liess sie reden, jammern, bitten – und legte den Blick ihrer Augen in ihre Seelen. Mochten die Münder noch lange reden, schwätzen, klagen, schimpfen – in den Seelen wurde es, ganz leise, ruhiger; bis auch die Münder sich schlossen und hilflos wurden, weil das Reden in eine Leere zu gehen schien, die ans Unendliche grenzte. Ihre Klagen, Leiden – all das verlor sich in der Unendlichkeit der Augen derer, die schwieg, sie ansah und zu lieben schien.

Es gab Menschen, die ihr folgten, wie kleine Kätzchen der Mama. Und es gab andere, die in ihrem Versuch, sich selber zu wahren mit Neid reagierten, hasserfüllt wurden und zutiefst unglücklich darüber waren, nicht den Mut zu besitzen, ihre Welt über Bord zu werfen und eine andere Sichtweise zu versuchen. Angst macht zornig, das erfuhren sie jetzt.

Denn die Fremde hob ihrer aller Welt aus den Angeln mit nur einem Lidschlag. Eine Bewegung ihrer Arme – und sie wussten nicht mehr, warum sie eben noch zornig gewesen waren.

Ein angedeutetes Lächeln – und sie vergassen, warum sie grade noch so heftig geweint hatten. In ihren Augen schienen Sonne und Mond gleichermassen zu stehen:warm und kühl, strahlend und verhangen, golden und weiss war ihr Blick, waren ihre Hände, Fingernägel, Fusszehen. Was sie berührte wurde lebendig – und hob sie auch nur einen verdorrten Ast vom Boden auf (am nächsten Tag schon begannen ihm Kospen zu wachsen). Aus ihrer Hand konnte man sogar Essen nehmen, dass sich schon zur Unverträglichkeit gewandelt hatte – niemand wurde krank oder bekam auch nur einen leichten Schmerz. Sogar Verschimmeltes schmeckte, bot sie es an, fruchtig, saftig und sehr, sehr süss.

Sie wohnte unter ihnen, aber sie war nicht wie sie. Ihr Dasein schien das Angesicht der Erde zu verändern.

Und aus der Liebe der Menschen wurde Furcht – getarnt als Bewunderung. Sie schoben sie weg von sich, indem sie sie zu verehren begannen. Sie wollten ihre Welt wieder für sich haben, so, wie sie sie kannten. Sie wollten nichts anderes, sie wollten keinen Himmel auf Erden, sie wollten, dass das Leben Mühsal war, wie sie es immer gekannt hatten. Und sie, die Fremde, störte – aber was sollten sie tun gegen solchen Liebreiz?

So erhoben sie sie, begannen ihr Kerzen zu bringen, Lieder für sie zu singen, Bilder von ihr bei sich in den Häusern auf zustellen aber sie besuchten sie nicht mehr. Sie umtanzten sie an einigen Tagen im Monat – und verliessen sie dann wieder. Sie gaben ihr Namen, es gab so viele Namen..........und sie wohnte in keinem davon.

Und sie erlebte, dass, was von ihr ausfloss, nirgendwo eine Schale fand, um zu bleiben – es versickerte in Unverstand, Sturheit und niedergeschlagenen Augen.

So seufzte sie und ging. Ihr Seufzen glitt wie ein Flüstern durch die Blätter der Bäume, strich wie ein Harfenklang an die Ohren wilder Tiere, die stehenblieben, lauschten – und dann weitergingen, wissend, dass eine Hoffnung von ihnen ging; und hofften, dass eine andere kommen würde.

Ihr Seufzen glitt wie silberner Mondschein durch Fenster, Häuser und Türen, hellte noch einmal auf, was im Dunkel lag, bis er verklungen war. Wem das entglitt, würde lange nichts mehr hören, auf das zu lauschen notwendig, gut und heilsam war.

Sie lag auf de Erde und sah in den Himmel. Es war dunkel geworden, der klare Sternenhimmel wölbte sich über sie wie ein bergendes, schützendes Tuch, voller kleiner Sonnen, die sie anstrahlten und aus lebendigen Augen mit ihr zu reden schienen. Der Nachthimmel hing tiefer, als jemals zuvor, so schien es ihr – und die Sterne neigten sich auf eine Weise, dass sie glaubte, sie anfassen zu können.

Wenn der Himmel sich neigt, ersteht man erneut .

So erhob sie sich wieder und ging heim - durch eine schmale Türe zwischen sieben Sternen, aus der sie gekommen wa

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