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Die Goldene Mutter

 

 

Sie trug sein Herz wie ein Kind, das des Gottes, in dessen Tempel sie diente.

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Sie war dorthin gebracht worden, als sie kaum den Windeln entwachsen war – sie erinnerte sich an nichts anderes.

 

Es war üblich, dass jeder Haushalt einmal ein Kind an den Tempel, spendete damit die Götter den Menschen gnädig gestimmt blieben. Es war ein Handel, mit dem sich gut leben liess.

Der Tempel blühte und gedieh, wurde reich an Geld und Ansehen. Und den Menschen, die um den Tempel herum lebten, ging es gut, sie lebten in Sicherheit und Wohlstand. Der Handel diente beiden Seiten.

Nur vergassen sowohl die Priester, als auch die Menschen, dass es bei diesem Geschäft nicht zwei, sondern drei Parteien gab. Die Seite der Götter war nicht bedacht worden. Über sie verfügten die Priester, ihre Gunst erkauften sich die Menschen. Wurden die Götter jemals gefragt, wonach sie sich sehnten?

Diese Frage hatte sie sich oft gestellt. Sie hatte viele Jahre die Rituale der Priester beobachtet – aber niemals einen Gott reden hören. Sie hatte die Gewohnheiten der Menschen gesehen - aber niemals die Reaktion irgendeines Gottes darauf gesehen.

Und nur ein einziges Mal hatte sie erlebt, dass auf einen der Götter aufrichtige, sehnsüchtige Blicke gerichtet wurde.

Ein altes Weib, arm, zerlumpt ,und sie roch auch nicht so gut, hatte vor einigen Jahren einmal vor einem der Bilder des höchsten Gottes gesessen, Tränen waren aus ihren Augen geronnen, dabei war ihr Blick völlig verzückt gewesen.

Obwohl das Mädchen reglos in einer dunklen Ecke gestanden und kaum zu atmen gewagt hatte, musste die Alte sie bemerkt haben. Einmal drehte sie sich zu dem Mädchen um, lachte leise und sagte dann sehr zärtlich: „Da steht ja die Goldene Mutter!“

„Goldene Mutter“ - das hatte schön geklungen. Sie forschte in den alten Schriften danach, fand dort aber nichts dazu. Ein wenig später wagte sie es, einen der Priester, ein ihr wohlgesonnener, junger Mann, danach zu fragen. „Wer ist die Goldene Mutter?“ fragte sie. Der junge Mann, sonst immer freundlich und offen, sah sie an, in seinem blick lag Bestürzung.

„Warte hier“, befahl er ihr und ging davon, kam kurze Zeit später wieder. „Der Höchste will Dich sehen!“ sagte er und brachte sie zu ihm. Der Höchste - ihn hatte sie noch nie gesehen, sie konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand ihn jemals gesehen hatte. Der Höchste war der höchste der Priester, er lebte im Verborgenen, einer schmalen Zelle, wie es hiess, die er niemals verliess. Und doch wurde getan, was er sagte, in de Regel redete er nicht. Es hiess, dass er Zettel durch den Schlitz unter der Tür hindurchschob. Und, dass er jederzeit überall anwesend sein konnte, ohne bemerkt zu werden. Der junge Priester brachte sie vor die unscheinbare, schmale Tür, er wirkte verunsichert. Gerne hätte er ihr Empfehlungen für ihr Verhalten gegeben, aber das konnte er nicht. Niemand konnte es. Denn niemand erinnerte sich daran, je den Höchsten persönlich gesprochen zuhaben. Jeden Tag wurde ihm eine kleine Schale Reis und ein bisschen Gemüse zu einer festgesetzten Zeit vor die Türe gestellt. Niemand hatte je gesehen, dass die Türe sich geöffnet hätte – aber eine Weile später war die Schale leer, wie blank geputzt, als sei sie frisch gespült worden, so sauber war sie.

Der Priester brachte sie vor die kleine Türe am Ende eines Ganges, der sonst menschenleer zu sein schien. Er hob etwas hilflos seine Schultern, drehte sich um, ging und liess sie alleine.

 

Eine Weile stand sie da, sie wagte nicht zu klopfen. Irgendwann trugen ihre Beine sie nicht mehr, da setzte sie sich auf den Boden, von einer unerklärlichen Müdigkeit erfasst.

Später konnte sie nie sagen, ob sie das nun Folgende real erlebt oder geträumt hatte. Oder gab es mehr als eine Realität?

Aufgewacht war sie auf der anderen Seite der Türe. Aber da war kein Zimmer gewesen. Sie war in einer Art Garten aufgewacht, riesengross, mit wunderschönen uralten Bäumen, die sie zum Teil nicht einmal kannte. Der Duft war erfült von der Süsse seltener Blüten, Vogelgezwitscher erfüllte die Luft, alle Tiere, die sich hier aufhielten, wirkten ruhig, waren ohne Scheu oder Furcht. Und ein kleiner, alter Mann in einem einfachen weissen Gewand kam auf sie zu, begrüsste sie voller Freude und ausgesuchter Höflichkeit. Eigenhändig richtete er einen Tee zur Begrüssung und ein wenig Obst her. Sie ass und trank – es war unhöflich, zu jemandem zu reden, mit dem man nicht zuvor gegessen und getrunken hatte. In de Augen des alten Mannes lag ein tiefes Leuchten. Sie vertraute ihm.

„Nein, meine Tochter,“ sagte er, als hätte sie eine Frage gestellt, „kaum jemand fragt je nach den Bedürfnissen der Götter. Das ist so, weil die Menschen nicht lieben, auch die Priester zumeist nicht. Sie haben keine Herzen. Deshalb erkennen sie nicht, dass Gottheiten keine magischen Gegenstände oder Wesen sind, übe die man verfügen kann, sondern lebendig, fühlend, sehnsüchtig - Liebende. Du fühlst das.“

Wie Honig drangen die Worte des alten Mannes in ihr Gemüt. Wie hatte sie sich danach gesehnt, einmal jemanden so reden zu hören. „Wer ist die Goldene Mutter?“ fragte sie. „Die Mutter des Gottes, die Mutter des Höchsten“ lautete seine einfache Antwort. „Du sprachst mit meiner Mutter. Und sie hat Dich als die Nächste erkannt.“

Der Höchste war kein Priester, sondern ein Gott? Und die ärmliche Alte war die goldene Mutter?

„Ach“, hörte sie den Alten sagen, „Wer ist schon arm. Und was ist schon ein Gott“.

 

Er lächelte und sie sah tausend Sternen in seinen Augen funkeln.

„Ist der Priester reich, weil er Ansehen hat? Ist meine Mutter, die in fast ständiger Verzückung lebt, arm, weil sie kaum etwas hat, um ihren Magen zu füllen? Sind Deine Eltern reich, weil sie Wohlstand haben oder sind sie arm, weil sie ihre Tochter hergaben?“

„Ein Gott ist nichts Hohes. Es gefällt den Menschen nur, das zu glauben. Sie machen es sich einfach, indem sie jemanden auf einen Sockel stellen, zu dem sie aufschauen können. Dann könne sie die Verantwortung für sich selber abgeben. Ein Gott kann jeder sein, in dem das Allgegenwärtige Licht strahlt. Und das Allgegenwärtige Licht wartet nur darauf, leuchten zu dürfen. Du wirst es erfahren.“

„Ein Gott kann jeder sein – in dem Mass, in dem jemand hingebungsvoll liebt, nähert er sich dem Höchsten in sich sich selber an.“

„Das Höchste in einem Wesen ist immer Gottes – sei es ein Mensch, ein Tier oder ein Gras.“

 

Und jetzt trug sie sein Kind. Sie erinnerte sich nur an die zarteste, feinste, zärtlichste aller Berührungen. Sie erinnerte sich an seine Augen voller leuchtender Sterne. Und vor allem anderen erinnerte sie sich daran, wie ihre Herzen verschmolzen zu einem einzigen, grossen. Immer noch trug sie dieses grosses Herz in ihrem Leib wie ihrer Beider Kind.

Wenige Wochen später wurde sie verstossen. Seit sie mit dem Höchsten geredet hatte, es waren zwei Tage und drei ganze Nächte gewesen, war sie eine Andere und für das System des Tempels nicht mehr tragbar. Sie vollzog die Rituale nicht mehr, weil sie fühlte, dass diese nicht die Sehnsucht des Höchsten waren.

Sein Herz in ihrem Leib verriet es ihr.

Sie waren so eng miteinander gewesen, so eins geworden, dass sie mit viel klareren Augen sah, was vor sich ging (Deals überall) und woran es mangelte( Sehnsucht, Hingabe, Verzückung)

Sie hatte sich schnell angewöhnt, statt Opfergaben zu nehmen, liebevolle Blicke und die rechten Worte von Trost und Hinwendung zu geben. Statt Brot, Fleisch, Obst anzunehmen, von dem die Priester hier alle lebten, hatte sie begonnen, Arme aus den Tempelvorräten zu speisen. Es lag ein seltsames Leuchten um sie herum, dass Menschen gleichzeitig Scheu einflösste, aber auch ungemein anziehend war. Ihr Lächeln hatte grossen Liebreiz gewonnen, ihr vormals scheues Wesen war offen geworden und Allen zugewandt.

 

 

So war sie auf Wanderschaft gegangen. Sie lebte jetzt von dem, was die Menschen ihr gaben. Und wenn sie ihr einmal drei Tage nichts gaben, hatte sie nichts. Und doch war sie glücklich.

Sie würde den Himmel gebären. Sie würde bitter arm sein an Gütern – und reicher als jede Königin. Kaum jemand würde sie lieben – und doch würde sie nie wieder alleine sein.

Nicht, weil sie gebären würde. Geboren wird immerzu auf die Welt, hier und dort und da.

Sie würde dem Himmel einen Weg auf die Erde bahnen.

Während ihr Tränen des Glücks über ihre Wangen rannen, sang sie ein Lied, das keine Sprache auf der Erde hatte.

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