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Die Barke


Ich schreibe auf, woran ich mich erinnere, so gut ich es vermag. Vielleicht wird irgendwann jemand diese Zeilen lesen und sich so meiner erinnern, die ich im Verborgenen, im Vergessenen lebe, schon so viele Jahre.
Ich war ein kleiner Junge, meine Familie lebte in der südlichen Wüste, die heute die lybische genannt wird. Als ich auf die Welt kam trug mein Körper weibliche und männliche Male an sich. So nannten mich meine Eltern Horus, ein Name, den damals sowohl Mädchen als auch Jungen trugen – wie ich später erfuhr, hat sich das mittlerweile geändert. Der Priester des nahe gelegenen Wadjettempels, wollte mich umbringen lassen, doch meine Eltern liessen das nicht zu. Sei fürchteten zwar auch, dass ein Fluch auf mir liegen könne, aber mehr noch liebten sie das lange ersehnte Kind. Mein Vater war vermögend und wusch dem Priester hier
und da die Hände („jmd. die Hände waschen“ war ein gebräuchlicher Ausdruck für bestechen). Da wurden wir in Ruhe gelassen.
Weder die Jungen noch die Mädchen mochten mir mir spielen, ich war ihnen unheimlich. Mir machte das wenig aus. Ich lief mit den Ziegen, balgte mich mit Lia, einer Hyäne, die ich als Junges aufgegriffen hatte, und die immer neben mir war und lag nächtens oft neben Osiris im Sand, um den Sternenhimmel zu betrachen. Osiris war wenig älter als ich und ein Anwärter im Wadjettempel.
Er kannte den Lauf der Sterne, den der Sonnen- und der Mondbarke, er erklärte mir, wie die Barken das Wachsen, Werden und Vergehen auf der Erde beeinflussen, wie die Sterne auf die Menschen und Tiere wirken und auf ihr Sterben und Geborenwerden.
Er zeigte mir, wo am Himmelszelt die Götter sitzen, wenn sie nicht auf der Erde wandeln, wie der Gang über das Firmament ist, wann sie auf einander treffen, sich vereinen und wieder sich lösen.
Kurz bevor mein Körper sich endgültig entscheiden würde, ob er nun eine Frau oder einen Mann aus mir machen würde, fand ich einen Stein – ich war mit den Ziegen und Lia in die Wüste , mit den Ziegen, damit sie ein wenig von dem Kärglichen, dass da wuchs, essen konnten und mit Lia, aus reiner Lust und Freude.
Da lag einer der Steine vor mir, die vom Himmel gefallen sind vor langer, langer Zeit – gelbgrün und leicht durchsichtig. Der Unterschied zu den anderen war nur, dass er kreisrund geformt war und fast genau in der Mitte ein natürliches Loch hatte. Er sah aus, als würde er mich anschauen – und ur deshalb, weil dieser merkwürdig steinerne Blick auf mir lag, hatte ich ihn überhaupt bemerkt. Ich trug ihn zum Priester. Er wurde blass, fädelte ein Lederband durch das Loch und legt mir den Stein um den Hals. Dann sagte er mir noch, ich sei behütet und vermutlich auserwählt. Er entschuldigte sich für alles Schlechte, das er über mich verbreitet hatte.
Der Stein war ein Talisman. Wir haben viele Talismane, der Skarabäus ist der Gebräuchliste. Augensteine sind überaus selten, sie werden oft gefälscht, damit überhaupt welche verkauft werden können. Was ich auf meiner Brust trug, war einmalig. Und es warlebendig, das fühlte ich sofort.
Es kam, was mir auf der Brust lag, weniger wie ein Stein vor, als wie ein Gefäss – wie ein Beutelchen,, in der man ein Lebendiges aufbewahrt. Schon als sehr kleines Kind habe ich Steine, Blumen, Gräser bewundert. Ziegenfleisch habe ich nur deshalb gegessen, weil wir ausser Fleisch und Brot sonst nichts hatten. Aber ich habe immer wenig davon genommen – aus dem Grund war ich immer klein geblieben, schmal und wirkte jünger, als ich war. Ich habe nie etwas ausreissen, verletzen oder töten können – keine Blume, keinen Wurm, keinen Käfer. Jetzt, wo ich den Augenstein, der vom Himmel gefallen war, trug, nahm diese Art der Zugewandtheit und Zärtlichkeit, noch ganz andere Züge an.
Oft übewältigte mich eine Liebe zu Allem, auch zu dem Kleinsten, dass mir die Tränen kamen. Die wenigen Pflanzen, die bei uns wuchsen, fand ich nicht nur schön – ich erkannte sie als lebendige Wesen, mir ebenbürtig, wenn auch von anderer Art. Meine Ziegen, Lia, jede Schlange, kleine Käfer und Fliegen – sie schienen mir mehr Bruder und Schwester zu sein, als die anderen Kinder meiner Eltern.
Ich wurde immer wieder von anderen in Tränen aufgelöst vor,gefunden, ich war oft ausser mir und bemerkte es nicht. Der Nachthimmel schien mir hell und voller Licht zu sein, der Gang der Götter war mir sonnenklar – ich fühlte ihn in meinem Blut. Der Stand der Sonne verriet mir die Dunkelheit, in der die Sonne selber sich befand, trotz der Heiligkeit, mit der sie uns zu täuschen vermochte. In mir fühlte ich das Dunkel der Ewigkeit ebenso, wie das Strahlen der beiden Barken. Ach, wie sehnte ich mich danach, auch nur ein einziges Mal auf einer von ihnen reisen zu dürfen.......
Das Wesen im Stein – oft hatte ich das Gefühl, dass es neben mir ging, meine Hand hielt, manchmal empfand ich das Himmelszelt so nah, als wäre es mein zuhause, mehr als die Hütte meiner Eltern. Ich trug die Sterne im Blut. Die Würmer, Blumen und Käfer, Menschen, den Sand, jede Düne – sie alle kannte ich, wie ich meine Arme und Beine kannte.
Mein Körper veränderte sich und es schien, als wolle er, trotz des männlichen Mals zwischen meinen Beinen zu dem einer Frau werden wollen. Meine Gestalt rundete sich, der Körper blieb haarlos, auch im Gesicht, meine Züge wurden weich.
Da erging ein Ruf von Wadjet an mich – Osiris, den ich in der letzten Zeit vernachlässigt hatte, weil ich mit so Vielem anderen beschäftigt war, überbrachte mir die Nachricht. Ich ging zum Tempel, den hatte ich noch nie betreten – nicht, weil ich nicht fromm gewesen war, sondern weil ich so viel Achtung davor hatte. Ich hatte nicht gewagt, ihn zu betreten. Es war, so schien es mir bislang, ein kleiner Tempel zu sein, ein Teil war in die Felsen gehauen.
Jetzt verbanden sie mir die Augen und führten mich hinein - und nicht nur hinein. Ich fühlte, dass wir viele Stufen hinabgingen, durch Hallen, das verrieten mir die Laute unserer Schritte, durch lange Gänge, viele Türen und wieder ging es Stufen hinab. Trotz allem war die Luft frisch, es musste irgendwo Frischluftzugänge geben, sogar in diesen Tiefen. Dann wurden mir die Binden von den Augen genommen. Die mich hergeführt hatten, verbeugten sich, erst vor mir, dann vorjemand anderem, den ich nicht sehen konnte, und liessen mich allein.
Ich braucht ein Weilchen, bis meine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten. Es war nicht hell und es war nicht dunkel. Fahl war es. Die Farben der Wände schienen Ocker zu sein, eine Feuerstelle war in der
Mitte des Raumes und überall waren Schlangen. Sie krochen auf der Erde umher, lagen in Nischen allein oder zu mehreren, es gab sogar Jungschlangen. Unter der Erde mussten heisse Quellen sein, der Boden war sehr warm, ich verstand, dass sie sich hier wohl fühlten.
Mir kamen ein paar Summtöne von den Lippen, die von den Wänden widerhallten. Einige Male ergötzte ich mich an dem Vergnügen des Halls und Widerhalls, als plötzlich aus der Feuerstelle eine Flammensäule emporloderte. Sie loderte auf und stand dann still, wie eingefroren, wie ein Bild. Das verwunderte mich, und ich trat näher. Irgendetwas verbot mir, das Wunder anzufassen. So stand ich nur, umrundete die Säule und schaute. Und ich sah einen so liebreizenden Schlangenleib, dass ich sofort entzückt war. Er glitzerte in allen Farbschattierungen, derer ich
mir nur erinnern konnte, hell und leuchtend. Ich fühlte, dass das Glitzern und Gleissen aus Welten kam, an die ich bis jetzt gar nicht zu denken gewagt hatte, aus Welten, die noch hinter dem Sternenhimmel liegen, aus denen die Götter geboren sein müssen. Ein süsser Ton traf meine Ohren, so fein und verinnerlicht, dass mir die Tränen kamen. Ich versuchte, ihn zu beantworten – und hatte dabei das Empfinden, dass mit dem Stein auf meiner Brust Seltsames vorging. Er vibrierte, schien hinzustreben zu dem Ton und der Feuersäule und tatsächlich stand er ein wenig von meinem Körper ab. Nur das Band, dass uns miteinander verband, schien ihn daran zu hindern, in die Flammen zu geraten.
Ich zögerte. Der Augenstein war mir Freund gewesen, über viele Jahre. Ich wusste, dass ich meine Seelentiefen und meine Erkenntnisse ihm verdankte und hatte Angst, alles wieder zu verlieren, wenn ich mich von ihm trennte. Aber – er hatte so viel für mich getan und ich noch nie etwas für das Wesen, das in dem Stein wohnte, mich erfreut, gelehrt, getröstet und behütet hatte all die Jahre.
Freundschaft ist wichtig bei uns. Ein Freund ist wichtiger als alles Hab und Gut, mit ihm teilen wir alles, wir schenken ihm sogar unsere Töchter. So nahm ich das Band ab, an dem er hing -wie gefesselt kamm er mir plötzlcih vor, und vielleicht war genau das mit ihm gemacht worden -, löste Band und Stein voneinander und legte den Stein vor die Säule. Die liebevollen Augen der Schlangengöttin liessen wieder Tränen in meine Augen treten und bestätigten mein Tun. Dann begann sie zu singen – mit einer Schönheit, die ich noch nie gehört hatte und, wie ich überzeugt war, auch nie wieder hören würde.
Und der Stein wuchs. Aus einem Stein wurde eine goldene Kugel, die noch in meine beiden Hände gepasst hätte. Und diese Kugel begann den gesamten Raum auszufüllen, es wurde dunkel, ich sah Nachthimmel und Sternengeglitzer um mich herum, ich war Teil des Universums, stand da, wo die Götter ihre Bahnen ziehen, sah von Ferne die Sonnenbarke heranschweben, hinter mir verschwand die des Mondes. Ich wusste, dass wir im Sternbild der Fallenden Wasser (=Wassermann) uns befanden, ein Sternbild,dass den Nilbewohnern grosses Unheil bringen kann. Sogar die Welt soll es einmal in seinen Wassermassen versenkt haben.. Aber ich hatte so oft von den Fallenden Wassern geträumt und von dem Göttlichen Auge, dass es verbarg, dass ich keine Angst hatte.
Und dann sah ich ein Wesen an Bord, bei dem mir das Herz stehenblieb: Gross und schlank, mit den Flügeln des Raben und dem Kopf des Falken blickte es mich an, ernst und tief sahen seine Augen in die meinen. Und ich kannte es, wusste eben nur nicht, woher. Da lächelte das Falkengeschöpf und ich erkannte die Kraft wieder,
die die ganze Zeit an meiner Brust gelegen hatte. Und in mir vibrierte seine Stimme: „Du hast mich heimgebracht, ich danke Dir dafür. Magie, wie es keine geben sollte, hat mich gefesselt, versteint. Es war mein Glück, dass Du den Blick meiner Augen im Sand gespürt und mich aufgehoben hast, dass Du es warst, und nicht ein anderer. Denn je mach dem Herzen, das mich trägt, verursache ich Heil oder Unheil. Je nach dem Blick, der auf mir ruht, bin ich hell oder dunkel, bringe ich Schrecken oder Heil.“- „Wohin wirst Du jetzt gehen, mein Herr?“ fragte ich zitternd, denn ich fühlte mich jetzt schon einsam. Was ihn und mich verbunden hatte, war noch mehr als Freundschaft gewesen,
das verstand ich in diesem kurzen Moment, den er mir schenkte. Wir waren auf unsere Art Liebende gewesen. Und wenn der Geliebte geht, weint die Liebende, so ist das. Und ich weinte. Er wurde ernst. Seine Stimme, die ich vorher nie gehört hatte, die ich nie wieder hören würde, sagte: „Dein liebevolles Herz hat mich bezwungen – der dunkle Zauber hat mich nicht umsonst befallen können. Gib mir ein wenig Zeit unter den Meinen, ich komme gewiss zurück zu Dir, denn ich liebe Dich, so, wie Du mich – unverbrüchlich, durch alle Zeiten.“
Dann weiss ich nichts mehr. Ich erwachte mitten in der Wüste, weit ab vom Tempel und fühlte mich verloren, schmutzig und sehr hungrig. Vor allem aber war eine Leere in mir, die mir so weh tat, dass ich glaubte, Wunden am ganzen Körper zu haben. Ich konnte kaum gehen, schleppte mich nach Hause und war tagelang schwer krank. Mein Liebster besuchte mich jede Nacht und nach einiger Zeit ging es mir wieder besser. Aber ich war einsamer, als je zuvor. Weder konnte ich den Liebsten vergessen, noch die schöne Wadjet, noch die lieblichen Gesänge tief unter der Erde. Meine Ziegen versuchten, wieder mit mir zu spielen, ich mochte nicht. Lia heulte auf, als sie mich besuchen kam - dann rannte sie fort, und ich habe sie nie wieder gesehen.
Obwohl ich bald heiraten sollte – ja, es gab einen Mann, der mich trotz meiner Besonderheiten liebte -, teilte ich meiner Familie mit, dass ich in das Kloster der Wadjed eintreten wolle. Obwohl ich nicht wusste, ob mir je wieder der Anblick der Schlangen und der Feuerstelle gewährt werden würde, und gegen die Widerstand meiner Familie, tat ich, wie ich gesagt hatte. Die Prüfungen bestand ich leicht – was sollte mir jetzt noch Frucht einflössen, was mich erfreuen, was mir Hoffnungen nehmen können. Und ich hatte Glück – ich wurde zur Hüterin der Feuerstelle tief unter der Erde ernannt. Das ist eine grosse Ehre und verlangt viel. Nur wenige bewältigen dieses Amt, einige sind verrückt geworden und fristen ihr Dasein nun in den Krankenabteilungen derklösterlichen Einrichtungen Ich habe sie gesehen die armen Kreaturen.

Nun, mir ist das Schicksal erspart geblieben, denn ich wollte ja nur das Eine: mit meinem Liebsten und der süssen Wadjet zusammen sein. Meinen Vater und meine Mutter habe ich nicht wieder gesehen, wo ich bin, durften sie niemals hin. Sie müssen inzwischen tot sein, denn auch ich bin jetzt alt und habe schon meine Nachfolge bestimmt: ein trauriges, aber starkes junges Ding, mit Charakter und einem gutem Herzen. Sie redet nicht viel, aber ich fühle das Potential in ihr, dass notwendg ist, will sie das Leben hier unten ertragen. Und vielleicht wird ihr, wie mir, die Gnade gewährt, diese Lieben so zu lieben, dass sie es jedem anderen vorzieht. Wadjet hat der Wahl zugestimmt.
Meine Geschwister werde ich gleichfalls verlassen müssen, ohne, dass sie je von meinem Tod erfahren werden. Denn hier unten ist Schweigen das Einzige, was hält und trägt – ausser der Gespräche, die von Herz zu Herz laufen. Wadjet hat mich vieles gelehrt , dafür danke ich ihr von Herzen – und ich sehne mich nach dem Geliebten, dem falkenköpfigen, scharfäugigen Himmelsvogel, nach seinem Duft und seiner Liebe. Er wollte bald wiederkommen – und er kam jede Nacht in meinen Träumen. Vielleicht darf ich ganz mit ihm zusammen sein, wenn die ewige Nacht über mich hereinbricht.


Ich erwarte die Mondbarke.

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