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Der Goldene I

Lirja erzählt


Ich glaube, ich habe ihn schon geliebt, bevor ich denken konnte, ihn, den das Schweigen umgab, das ihn umgab wie ein weites Feld. Es schien mich zu umarmen, wie man etwas sehr Geliebtes zärtlich hütet, es war stets um mich, es wirkte tiefer in mir als mein Herzschlag oder mein Blut. Das war schon so, bevor ich laufen oder die ersten Worte reden konnte. Und ich wollte nichts anders, wollte nur die Stille.
Darum begann ich zu schweigen, schon sehr früh. Es gab Zeiten, da redete ich gar nichts. Meine Konzentration richtete sich auf das Ruhen in dem, was ich jeweils fühlte, dachte oder tat – manchmal auch sagte. Ich trank meinen Tee mit einem Genuss, als würde dieser Tee die Welt umfassen. Und ich ass mit eben derselben Freude – unterschiedslos, was es gab. Ich wusste nicht, was mir schmeckte
oder nicht, ich wusste nichts von „gutem“ oder „schlechten“ Essen – ich wusste nur von Kauen, Schmecken, riechen, schlucken......Ich genoss es, Dinge zu betrachten – das konnte eine Blüte sein, die eben erwachte, es konnte genauso gut ein Sprung in einer Schale sein oder die Spur,die unsere Schnecken hinterlassen, und die so schön glitzern.
Mit dem Lauschen ging es mir ebenso – ich konnte nicht unterscheiden zwischen dem, was mir „angenehm“ war, oder dem, was mir „unangenehm“ war – alle Laute und Geräusche, die eines Vogels, das Brechen eines Kruges, das Schmatzen der Säuglinge – allem lag eine Tiefe zugrunde, die mich anzog, in die ich eintauchen wollte.
Mir war es nie, zu keinem Zeitpunkt, glaube ich, gegeben, Gutes und Nichtgutes zu unterscheiden. Mir war solches Denken oder Empfinden fremd. Ich kannte Schmerzen und hatte Krankheiten durchlaufen, das ja – aber ich hatte nie gelitten in dem Sinn, wie die Alten oder meine Freunde es kannten (aber ich
tat oft so, weil sie etwas Anderes nicht verstanden hätten). Ich hatte mich ihnen ausgeliefert, wie ich mich auch der Sonne, dem Schlaf und der Liebe auslieferte. Und so taten sie mir nichts – die Krankheiten gingen vorüber, die Schmerzen ertranken in der Stille, die mein ständiger Begleiter war, mich tröstete und in der seltsame Verheissungen zu liegen schienen.
Ab und zu kam er, den die Alten den „Goldenen“ nannten. Ich wusste, das war nicht sein Name – aber ich fragte nicht. Wenn er da war, war die Stille in mir zur vollkommenen inneren Regungslosigkeit geworden. Ich ging umher, nicht mehr wissend von mir oder anderen, die Regungslosigkeit liess Freude und Glück nur so sprudeln. Ab und zu musste ich ausruhen, dann zog ich mich zurück für einige Tage.
Und dann war er wieder fort. Ich wartete nicht auf ihn, ich hoffte nicht darauf, dass er wieder kam. Die Stille trug mich durch die Tage, Wochen, Monate und Jahre. Er kam und ging und kam und ging und mit ihm Vieles, was zu sagen sich nicht ziemt – es muss erfahren werden.Mit Besorgnis betrachtete ich die Alten, die hin- und hergeworfen schienen zwischen den Leben mit ihm, und dem ohne ihn. Mich verwunderte ihre Haltlosigkeit. Sie waren oft krank, litten – und das Leiden nahm zu.
Ich musste so um die Zeit meiner ersten Blutung gewesen sein, als ich fühlte, wie die Stimmung sich wendete gegen den, den sie den „Goldenen“ nannten. Sie redeten nicht darüber, aber ich war sicher, dass sie ihn für ihr Leiden verantwortlich machten, ihn aus ihrem, aus unserem Leben löschen wollten.
Wussten sie, was sie da im Begriff waren zu tun? Sie wollten die Stille vernichten, dem Schweigen Einhalt gebieten. Waren sie dumm? Sie würden nur sich selber vernichten, das war mir klar.
Ich würde der Stille folgen, wo ich sie antraf, so mein Entschluss. Ich würde ihm folgen, wohin er auch gehen mochte und mich trennen von denen, die dabei waren, sich selbst ihre Seelen zu nehmen.
Ich war dabei, als er den Himmel auf die Erde holte. Ich hörte den Gesang der Sterne in meinem Herzen kreisen und und fühlte das Schwingen des Erdballs unter meinem Gesäss. Und alles schwang und sang und schwang und sang und schwang und sang........Seligkeit hatte das Schweigen umfangen, als seien sie Beide ein Paar.
Ich fühlte sein, des Geliebten, Verschwinden und verschwand lautlos mit ihm. Wie das vor sich ging, weiss ich gar nicht – ich war nur mit einem Mal Teil seines Herzens und er war Teil des meinen. So weit wir auch wanderten, wohin wir auch gingen, wir waren angekommen, zu Hause, jeder in der Liebe des anderen. Wir konnten uns nicht mehr von einander unterscheiden – er war ich geworden, ich war er......er war verwurzelt im Schweigen und in mir, ich in der Seligkeit und in ihm.
Eines Tages sahen wir eine Frau, sie war schon alt, aber sie war sehr schön. Sie lachte auf eine Weise, die tief aus dem Inneren ihres Körpers oder noch darüber hinaus zu kommen schien. Nie habe ich jemanden auf diese Weise lachen gehört – es war ein vollkommenes Lachen, das eine Freude ausdrückte, die Fesseln sprengen und Seelen befreien kann. Es war Urdim, die so lachte – sie hatte uns gesucht und war uns gefolgt bis hierher. Meine Liebe für sie  war grenzenlos.
Als sie uns weder verliess, wusste ich, sie würde die Seelen derer zu retten in der Lage sein, die sich von sich selber losgesagt hatten. Denn, indem Urdim sich selber erlöst hatte, hatte sie alle erlöst.

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