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Der Flötenspieler II

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Der Flötenspieler sass oben im Baum, wo er die Nacht verbracht hatte. Seine Klänge hatte, wo er herkam, niemand hören wollen, da war er fortgegangen, weit, weit fort – auf diesem Baum hatte er die Nacht verbracht. Die ersten zärtlichen Sonnenstrahlen und leises Vogelgezwitscher neben ihm weckten ihn. Er hatte sich sein Nachtlager neben einem Vogelnest eingerichtet, wo eben die Jungen gefüttert wurden, mit leisen liebevollen Lauten der Alten, die alle Beide eifrig hin- und herflogen, um nichts besorgter als darum, dass alle ihre Kinder satt werden konnten. Er, der Flötenspieler, der seinen Lebenssinn darin erkannt hatte, alles, was er in sich sah, fühlte und fand, in den Klängen seiner liebsten Flöte wieder zu geben, erkannte nun, dass sich hier ein anderer Lebenssinn abspielte, scheinbar einfacher, von „kleinen“ Wesen und doch zutiefst grossartig: andere zu sättigen.

Hatte er jemals versucht, andere zu nähren, sie zu sättigen?

Er betrachtete, was er um sich herum sah:

die weite Landschaft, Berge, die im frühen Sonnenlicht zu glitzern schienen, tief unter ihm Felder und Wiesen – und Menschen. Fast wie Ameisen muteten sie ihn an, so klein und so ziellos schienen sie umher zu laufen. Da er im Beobachten geschult war und auch genau wusste, dass Ameisen mitnichten ziellos leben, sogar ganz im Gegenteil, wandte er den Geschöpfen unter sich seine ganze Aufmerksamkeit zu, immer darauf bedacht, mit keiner seiner Bewegungen, das Vogelpärchen neben sich zu beunruhigen.

Reglos sass er Stunde um Stunde und schaute, Hunger und Durst vergessen, der Schmerz der Glieder war ihm schon lange vergangen.

Seine Augen konnte er nicht mehr offenhalten, da schlief er endlich ein, es schien ihm Gnade zu sein. Im Traum hörte er ein Flötenspiel, dass ihm das Schönste schien, dass er jemals gehört hatte, es war meisterlich, nicht einmal sein verstorbener Meister hatte so spielen können.

Sein Herz, wund und bitter geworden von den vergangenen Erfahrungen, Ablehnungen, dem Unverständnis und Einsamkeit geworden, begann zu bluten, zu weinen – er merkte erst viel später, dass er selbst es war, der da im Schlaf Tränen geweint hatte, die ersten Tränen, seit er ein Knabe gewesen war. Dann veränderte sich das Fötenspiel, dass er hörte – eine kurze Sequenz, dann Pause, dieselbe Sequenz noch einmal, wieder Pause, und noch einmal diese kleine Melodie, nur aus wenigen Tönen bestehend, die aber von herzzerreissender Süsse waren. In so einer Art Halbschlaf nahm er seine Flöte und versuchte, die kleinen Sequenzen, die gespielt wurden, in den vorgegebenen Pausen nachzuspielen......zuerst glückte es gar nicht. Er, der ein Meister geworden war auf der Flöte, wurde noch einmal zum Knabe, der ganz von vorne begann. Es dauerte, bis er lernte, die Süsse in den Ton zu bekommen und etwas, das ihn an das Gezwitscher von Vögeln erinnerte.......in dem Mass, in dem er sich übte, in dem Mass wurden die Sequenzen schwieriger........er war sehr konzentriert, irgendwann sehr wach, aufmerksam – dauerte es Stunden oder Tage, bis er merkte, dass es da Vogelweibchen war, das vor ihm sass, mit grossen, schwarzen Knopfaugen in die seinen sah und zwitscherte, pfiff, tschilpte – und immer wieder geduldig wartete, bis er hinterher kam mit seinem Können.

 

Mittlerweile hatte sich unter dem Baum eine zuerst kleiner, dann immer grössere Ansammlung von Menschen gefunden. Sie vergassen die Felder, die Tiere, die Haushaltsarbeit – hier gab es etwas, wonach sie und ihre Väter und Vorväter gesucht hatten, so lange sie sich erinnerten.

Heimliche Tränen wurden geweint und offene, niemand schalt, niemand lachte, man tröstete vielleicht nicht – aber man sah taktvoll darüber hinweg; das ist schon viel für ein Menschengeschlecht, das nur Härte kennt an sich und an anderen.

Ab und zu stiehlt sich ein Lächeln aus den Mundwinkeln, wie aus Versehen, hier und da – ein lang schon Ersehntes, auch für den, der es gibt, vor allem für ihn!

 

Ich weiss nicht mehr, wann sie ihn baten, doch bitte vom Baum herunterzusteigen und bei ihnen zu bleiben. Er baute sich eine Hütte unter diesem Baum, der ein Stück weit vom Dorf entfernt wuchs. Das Vogelweibchen blieb eine Weile seine Lehrerin. Als sein Gehör feiner wurde, lernte er auch von anderen Tieren über und unter der Erde. Er war und blieb ein Sonderling – aber auf die Menschen achtete er, war gütig zu ihnen – und nährte sie mit seinem Spiel. Er blickte in ihre Herzen, so gut er konnte und spielte seine Flöte nach dem, was er darin sah. Und es war Friede unter den Menschen und Tieren, solange er unter ihnen wohnte.

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